Text: Matthias Albrecht, Bilder: Jordan T. A. Wegberg
Birkenwerder begrüßte uns (Anne Meinecke, Eveline Hoffmann und Matthias Albrecht) mit herrlichstem Wetter, das einem Sommertag zur Ehre gereicht hätte. Pünktlich vor Beginn des Events hatte sich hier eine stabile Hochdrucklage eingenistet, und es ging das Gerücht, diese wäre Inge Beer und Jordan Wegberg zu verdanken – den beiden ist ja alles zuzutrauen.
Der Erfolg des ersten Berliner Kongresses im September 2015 hatte sich schnell herumgesprochen: Das Andersen-Hotel war bis zum letzten Zimmer mit FDA-Mitgliedern verschiedener Landesverbände belegt, und wenn es nach den Interessenten gegangen wäre, die nicht mehr unterkommen konnten, hätte die Hotel-Leitung noch die Besenkammern und Lagerräume mit Notbetten bestücken müssen. Inzwischen, so munkelt man, soll deshalb gar eine Erweiterung des Hotel-Komplexes geplant sein. Nun ja, wer ’s glaubt …
Inge begrüßte die Teilnehmer am frühen Freitagabend aufs Herzlichste und gab im gleichen Atemzug bekannt, dass dies ihre letzte Amtshandlung als Vorsitzende des Berliner Landesverbands sei. Leider erwies sich diese Verlautbarung nicht als verfrühter Aprilscherz, doch die Gewissheit, dass ihr langjähriger Vorsitz in guten, vertrauenswürdigen und engagierten Händen landen würde, ließen die kleinen Tränen in Inges Knopfloch und denen der Teilnehmer schnell versiegen.
Wir werden weder spekulieren, wer dereinst in ihre Fußtapfen treten wird, noch dem Ergebnis einer noch durchzuführenden, demokratischen Wahl vorgreifen; die Blicke aller Anwesenden indes, welche spontan Jordan streiften, sprachen Bände.
Das Programm des Kongresses war abwechslungsreich, interessant und auf die Bedürfnisse der FDA-Mitglieder zugeschnitten. So erfuhren wir von Katja Mischke, wie aus einer Romanvorlage ein brauchbares Drehbuch entstehen kann.
Helga Rattay führte uns die Zweckmäßigkeit eines Genogramms (einer Art „Stammbaum“ der Hauptfiguren eines Romans oder einer Geschichte) vor Augen, mit dessen Hilfe der Schreibende unter anderem die Übersicht über die Abstammung und familiären Verzweigungen seiner Protagonisten behalten sollte, ohne sich im Verlauf der Handlung in Widersprüche zu verstricken und die Großmutter zunichte, pardon, zur Nichte zu machen.
Abini Zöllner (eine extrovertierte, dunkelhäutige, lebensbejahende Frohnatur mit nicht zu leugnendem Berliner Akzent) machte die zum Teil gravierenden Unterschiede zwischen journalistischem, biografischem und literarischem Schreiben deutlich und erklärte – ganz nebenbei – weshalb sie dem Begriff „Neger“ ablehnend gegenübersteht, jedoch Bezeichnungen wie „schwarz“, „Mulatte“, „farbig“ und anderem mehr mit Akzeptanz begegnet.
Und Olaf Wielk machte uns am letzten Tag auf anschauliche Weise klar, welchen Stellenwert Dramaturgie und Struktur in unseren Geschichten einnehmen sollte, um zu funktionieren.
Allen Dozenten wurde seitens der Anwesenden ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil, sodass Letztere selbst eine Zeitüberschreitung der im Programm verankerten, maximalen Workshop-Dauer toleriert – oder gar nicht erst bemerkt – hätten. Das will was heißen!
Die kleine Küche konnte in punkto Qualität mit den reichhaltigen Buffets der großen Hotels aus vergangenen Bundes-Kongress-Veranstaltungen durchaus konkurrieren (die Sortimentsbreite war ohnehin nicht von Belang; schließlich kann ja niemand mehr essen, als er mit aller Gewalt in sich hineinzuschlingen imstande ist), und das Ambiente war gewohnt anheimelnd. Lediglich das Raumangebot der Lobby erwies sich für die zahlreichen Teilnehmer als etwas unzureichend, sodass man uns gestattete, den Speiseraum zum Zweck des Erfahrungsaustauschs oder – wie man zu DDR-Zeiten gesagt hätte – „des feierlichen Beisammenseins zur Festigung und Stärkung des Autorenkollektivs“ zu nutzen.
Schließlich – kein Kongress ohne kulturelle Untermalung! So wurden wir am Samstagabend völlig unerwartet mit dem nackten Grauen konfrontiert: Im Zimmer 426 ereigneten sich schauerliche Dinge, die uns das Blut in den Adern gefrieren ließ. Jordan vermisste seine Freundin; sie war spurlos verschwunden. Eine Erkundigung an der Rezeption blieb ebenso ergebnislos wie mehrmalige Anrufe mittels Handy. Im Restaurant begegnete Jordan einer geheimnisvollen Fremden (Patricia Strunk, welche auch das Stück erdachte). Diese goss noch Öl ins Feuer, als sie mutmaßte, dass es sich um Gestaltwandler wie Werwölfe oder Vampire handeln müsse, welche für das spurlose Verschwinden der Freundin Jordans verantwortlich zeichneten und die im Zimmer 426 („zufällig“ auch Jordans Residenz) umher spuken würden. Sie selbst, die Fremde, könne sich unter bestimmten Umständen in eine schwarze Katze verwandeln und helfend eingreifen.
Jordan weigerte sich entschieden, an solch hanebüchenen Unfug zu glauben, und zog sich sowohl verärgert als auch konsterniert auf sein Zimmer zurück, die bereits bei der Kellnerin georderte Entenbrust und den Bordeaux im Stich lassend. Gerade in dem Moment, als er erneut – und abermals erfolglos – seine Freundin anrief, stürzte sich ein Werwolf mit grässlichem Knurren, scheinbar aus dem Nichts kommend, auf den Arglosen. Jordan erschrak drehbuchgemäß und die das Geschehen am Rande verfolgenden Kongressteilnehmer ohne Vorwarnung in echt.
In den nächsten Sekunden, in welchen Jordan versuchte, sich der Umklammerung des Monsters zu entziehen, bewegte sich der Vorhang des Fensters, etwas Plüschiges, Schwarzes kam mit grässlichem Fauchen durch die Luft geflogen und stürzte sich auf … – ja worauf eigentlich? Auf den Werwolf natürlich – das wurde dem Publikum in Sekundenbruchteilen klar –, obgleich es zunächst so schien, als würde sich der überlebensgroße Stubentiger in Jordans Kehle verbeißen. (Man muss es Inge, welche sich als Bühnentechnikerin versuchte und die „täuschend echt“ wirkende Katzenimitation in die Luft warf, nachsehen: Im Raum herrschte diffuses Halbdunkel. Darüber hinaus blieben ihr nur einige Augenblicke, das Ziel anzuvisieren. Und zu allem Überfluss bewegten sich die Kontrahenten auch noch recht unkoordiniert, weil miteinander kämpfend, am Fußende des Hotelzimmerbettes hin und her).
Es ist der Professionalität und Kaltblütigkeit der Noch-Vorsitzenden geschuldet, dass die Katzen-Attrappe nicht im entsetzten, ja geradezu wie paralysiert wirkenden, Publikum landete …
Der Schauplatz wechselte mehrfach. Dort, wo im Film der Cutter die Schere ansetzt, führte uns Katja Mischke zwischen den einzelnen Szenen an einen neuen Schauplatz des Grauens.
Jordan kam blutüberströmt mit dem Leben davon, erwachte in der Hotel-Lobby in den Armen seiner – inzwischen wieder menschliche Gestalt angenommene – Retterin Patricia, während seine vermisste Freundin in der Garage nebenan als „tote Leiche“ reglos auf dem kalten Betonboden verharrte, bis sich das Publikum zum nächsten Schauplatz begeben hatte. (Wir hoffen, sie kam ohne Erkältung davon …)
Ganz nebenbei: Während dieser Garagenszene hatte ich Bedenken, die Polizei könne auf einer ihrer prophylaktischen Streifenfahrten vorbeifahren und das Ganze missverstehen, doch glücklicherweise schienen die Beamten anderweitig gebunden zu sein.
Ich weiß nicht, ob ich dieses Stück – sowohl inhaltlich als auch chronologisch – korrekt wiedergebe; immerhin hatte ich zum Zeitpunkt des Erlebens bereits zwei große Biere intus. Dennoch scheint es mich geprägt zu haben (ich verspüre unbändige Lust, mein nächstes Buch im Genre des Horrors anzusiedeln). Auf mein Schlafverhalten indes hatte es auch Einfluss. Danke Patricia, Inge und Jordan für meine durchwachten Nächte und Albträume im Weiteren!
Lange Rede – kurzer Unsinn: Dieser zweite FDA-Berlin-Kongress war ein voller Erfolg! Da sind die sächsischen Teilnehmer einer Meinung. Und ich wage die Behauptung: Alle anderen auch! Die Ausrichter (insbesondere Inge und Jordan) vermittelten den Eindruck, als wäre ihnen die Planung, Organisation und Durchführung ungeheuer leicht gefallen – so locker und unbeschwert verlief dieser Kongress am Ende. Doch wer sich mit der Materie auskennt, weiß, wie viel Arbeit, Organisationstalent und Zeit damit verbunden sind.
Wir wünschen dem Berliner FDA weiterhin viel Elan, Kraft und Glück zur Verwirklichung all seiner Projekte – und uns noch viele Events dieser Art!
Insbesondere wünschen wir Inge Beer als künftiges „Nur-Mitglied“ des FDA Berlin Gesundheit, Schaffenskraft, nicht nachlassende Ideen und erfolgreiches Mitspracherecht in allen wichtigen Dingen! Möge sie sich ihren jugendlichen „Übermut“ bewahren und uns noch lange erhalten bleiben!
Bis zum (hoffentlich!!!) nächsten, dritten Berlin-Kongress!
Übrigens – wann kann man sich anmelden?