Freier Deutscher Autorenverband Berlin e.V.
Freier Deutscher Autorenverband Berlin e.V.

Luther 2.0 – Literarische Impulse von der Weimarer Klassik bis heute

Jahrestagung des Freien Deutschen Autorenverbands 2016

in Liebenstein, Thüringen

 

Bericht von Inge Beer

Bereits die Anreise ließ erahnen, dass es eventuell nicht ganz komplikationsfrei sein würde, zu den verschiedenen Veranstaltungstreffpunkten zu gelangen. Der Großteil der Gäste war in einem Hotel in Frankenhain untergebracht, ein anderer Teil in einer Pension in Gräfenroda. Das Problem lag allerdings nicht darin, dass die beiden Unterkünfte 2 Kilometer auseinander liegen, sondern dass der Tagungsort in Liebenstein, der 6 Kilometer entfernt liegt, dank einer Baustelle nur über einen ca. 18 Kilometer langen Umweg zu erreichen war. Die Kollegen aus Thüringen hatten einen Bus-Service organisiert, der die Gäste immer zu bestimmten Zeiten von A nach B oder C brachte.

Das Frühstück sowie das Abendessen wurden in Frankenhain eingenommen, die Sitzungen am Freitag sowie die Veranstaltungen am Samstag wurden im Röderschlösschen in Liebenstein abgehalten, und die Pension in Gräfenroda sah ihre Gäste nur zum Schlafen. Vielleicht war dies der Grund, dass es mit der Heizung nicht so richtig klappte, aber Schlafen in kalten Räumen soll ja bekanntlich sehr gesund sein. Und auch meine Matratze war sehr gesundheitsbewusst: so in etwa stelle ich mir die früheren Feldbetten vor, ziemlich hart und unnachgiebig.

Wie auch immer, ich war pünktlich um 14 Uhr zur Sitzung des Verbandsrates im Röderschlösschen in Liebenstein, und es wurde straff durchgearbeitet bis ca. 17.15 Uhr. Die restlichen Tagesordnungspunkte wurden dann auf den Sonntagvormittag nach dem Frühstück verschoben. Somit konnten um 17.30 Uhr endlich der Empfang und die Eröffnung des Kongresses beginnen. Noch vor dem ersten Festredner wurde jeder Teilnehmer gebeten, einen Zettel zu ziehen, auf dem sich jeweils ein bekannter Name aus der Literaturszene befand, den wir aber noch nicht verraten durften.

Der Bürgermeister begrüßte uns und nahm gleich zu Beginn die „Schuld“ an dieser ewig nicht fertig werdenden Baustelle auf sich. Danach hielt der Vorsitzende des Landesverbands Thüringen, Dr. Hansjörg Rothe, einen kurzen Vortrag über Weimar und die Weimarer Republik – Fakten für den angehenden Thüringenversteher. Und dank der Baustelle und der damit verbundenen Komplikationen beim Fahren wurde dann das Programm umgestoßen, was in den nächsten Tagen noch öfter passieren sollte.

Ronny Ritze moderierte die Buchvorstellungen, und obwohl sich fast alle an die vorgeschriebene Zeit von höchstens 5 Minuten hielten, zog sich die ganze Sache über knapp 1,5 Stunden hin. Ich war zum Schluss kaum noch aufnahmefähig, mein Magen hing in den Kniekehlen, und ich war heilfroh, als wir gegen 21 Uhr endlich aufbrachen, um zum Abendbrot ins Hotel zu fahren. Beim Verlassen des Schlösschens wartete noch eine Überraschung auf uns, denn alle im Vorfeld eingereichten Buchcover wurden in der Größe von 30 x 10 Metern an die Wand der gegenüberliegenden Burgruine projiziert. Eine tolle Idee!

Das Abendessen entschädigte uns für die lange Wartezeit, machte uns wieder aufnahmefähig, und so konnten wir unsere bis dahin unbekannten Hälften suchen, nämlich die Person, die den gleichen Namen gezogen hatte. Während ich längere Zeit ergebnislos nach Stiller und Homo Faber fragte, stellte ich dann mehr durch Zufall fest, dass der zweite Max Frisch genau neben mir saß. Alle Paare, die sich gefunden hatten, bekamen einen kostenlosen Drink nach Wahl an der Bar, und es war ein schöner Abschluss des ersten, extrem langen Tages.

Der zweite Tag begann an einem reichhaltigen Frühstücksbüfett im Hotel Gisselgrund, danach gab es in Liebenstein einen Vortrag von PD Dr. Stephan Pabst vom Institut für Germanistische Literaturwissenschaft in Jena: Post-Ost-Moderne – der veränderte Blick ostdeutscher Autoren auf die Moderne nach 1990. Ich hatte mich auf einen trockenen, langweiligen Vortrag, eingestellt, wurde aber angenehm überrascht.

Pabst klärte uns anhand von Beispielen zunächst auf, was man überhaupt unter DDR-Literatur versteht. Die Schriftsteller Hilbig, Grünbein und Müller wurden als Beispiel genannt hinsichtlich der Unterschiede zur Westliteratur. In der DDR-Literatur gibt es bedeutende Abstufungen dahingehend, ob die Literatur in der DDR geschrieben worden ist oder der Schriftsteller schon im Westen lebte, als er sein Werk begann, und ob es für DDR-Publikum geschrieben oder der Westen mit einbezogen wurde. Pabst verglich die literarische Moderne mit einem Vulkan, der Verschüttetes wieder freilegt und eine neue Diskussion entfacht, indem zum Beispiel die Gattung des Geschriebenen total wegfällt.

Die drei Merkmale der Moderne sind: 1. Kanon bestimmter Autoren, 2. bestimmte Funktionsbeschreibungen (kritisch, unterläuft Mainstream in Bezug auf die Zukunft), 3. gattungskritischer Impuls. Im Gegensatz zur Moderne ist die Postmoderne keine eigene Gattung. Ebenso gibt es in der Literaturwissenschaft verschiedene Varianten. Sich nur mit unbekannten Schriftstellern zu befassen gleicht einem Selbstmord, es sei denn, der Wissenschaftler begründet seine Vorgehensweise. Vor 1990 kamen 95 Prozent der Literaturkritiker aus dem Westen, nach 1990 lag das Verhältnis bei 50 zu 50.

Nach diesem sehr kurzweiligen Vortrag, einer Diskussion und einer kurzen Kaffeepause gab es ein Werkstattgespräch mit dem Vorsitzenden des LV Thüringen, Dr. Hansjörg Rothe: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“: Literarische Impulse eines Luther-Zitats von Schillers Demetrius über Volker Brauns Dmitri bis heute.

Als danach der erste Workshop angekündigt wurde, waren wir zeitlich bereits ordentlich im Verzug. Eine Gruppe lief hoch in die Burgruine, die andere Gruppe blieb unten im Schlösschen. Danach wurde getauscht, so dass jeder Teilnehmer an beiden Workshops teilnehmen konnte.

Der Workshop: Ist das Poesie oder kann das weg? war Poetry Slam für Erwachsene. Der gebürtige Thüringer und Wahlberliner Volker Strübing führte uns in die Grundlagen des Poetry Slam ein, erklärte die Spielregeln, und wir bekamen die Aufgabe, anhand von gemeinsam zusammengetragenen Worten selbst eine kurze Szene zu schreiben. Wer wollte, konnte sie dann nach den Spielregeln des Poetry Slam verlesen, und der erste Platz wurde ausgewürfelt. Insgesamt hatten wir eine Menge Spaß, und es hätte gern noch etwas länger dauern können.

Nach einem kurzen Mittagsimbiss ging es weiter. Dietmar Schulze aus dem Schillerhaus Leipzig stellte im zweiten Workshop die Frage, ob die nächste Generation noch Bilder und Methapern unserer literarischen Tradition kennt. Anhand von Videofilmen stellte er verschiedene innovative Projekte vor, die er mit Jungendlichen erarbeitet und aufgeführt hat, um jungen Menschen Schiller und Goethe nahezubringen. Allein von Schillers Handschuh gab es drei gespielte Varianten: einmal die Schiller-Version, dann eine eigene von den Schülern geschriebene und schließlich eine in sächsischer Mundart. In dem Stück Ein Sonntagmorgen bei Oma Schneider wurden erhaltene Traditionen aufgezeigt, und in einem anderen wurden Faust eins und zwei von Schülern für Schüler erklärt. Beim Schreiben der Drehbücher werden junge Texte mit klassischen Figuren zusammengebracht, und grundsätzlich fließen eigene Ideen der Schüler mit ein.

Insgesamt war es ein sehr interessanter Vortrag, insbesondere im Hinblick auf die Jugend, wenn nicht die Technik zwischendurch in den Streik getreten wäre. Der Ton war am Ende so entsetzlich, dass der Präsident mit seiner Stellvertreterin noch während der Veranstaltung den Raum verließ.

Dadurch entgingen den beiden allerdings nicht nur das Literaturquiz in der Pause und das anschließende Harfenkonzert, sondern auch die Änderung des Abendprogramms. Die szenische Lesung von Goethes gekürztem Flüchtlingsdrama Herrmann und Dorothea wurde von 20 auf 19 Uhr vorverlegt, um ein ständiges Hin- und Herfahren zu umgehen.

 

Was noch nie einem Landesverband bei der Ausgestaltung eines Arbeitskongresses gelang, können die Thüringer Kolleginnen und Kollegen für sich verbuchen: es waren Reporter zweier Zeitungen anwesend, und bereits am Montag standen in beiden Ausgaben ausführliche Berichte über die gelungene Aufführung. Das wohl schönste Kompliment hörte ich nach der Vorstellung von der jungen Reporterin der Thüringer Allgemeinen: „Ich kenne zwar seine Literatur, habe aber nie gewusst, wie schön Goethe sein kann. Das weiß ich erst seit heute.“

 

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück ging es dann für mich zwei Stunden lang weiter mit der Sitzung, die bei mir viel Stoff zum Nachdenken hinterließ, was auch bei der anschließenden Podiumsdiskussion Darf ich schreiben, was ich will? anhielt.

Es waren abwechslungsreiche Tage mit einem interessanten Programm mit vielen Highlights, die sich der Landesverband Thüringen hatte einfallen lassen. Das Heimatmuseum veranstaltete Führungen mit den Teilnehmern, die Buchcover flimmerten über die Wand der Burgruine, und eine junge Filmemacherin vom ZDF konnte kurzfristig ein paar Tage vorher noch gewonnen werden, Interviews mit den unterschiedlichsten Tagungsteilnehmern der verschiedenen Landesverbände zu führen für einen Imagefilm des FDA, um mehr junge Mitglieder zu gewinnen. Da allerdings aufgrund der Kurzfristigkeit die Finanzierung nicht rechtzeitig abgeklärt wurde, der Bundesverband sich somit nicht an den Kosten beteiligt und sich außer Thüringen bisher nur eine Person bereit erklärte, privat finanziell etwas dazuzusteuern, schmort dieser Werbefilm nun immer noch in der Schublade, was mehr als schade ist und künftig wahrscheinlich jede spontane, innovative Idee ausbremst.

Sicherlich gab es einige Dinge, die besser hätten laufen können: angefangen von den umständlichen Wegen zwischen den Veranstaltungsorten über die Schwierigkeiten mit der Technik bis hin zu dem vollgestopften Programm, den häufigen Änderungen desselben und den wenigen Pausen. Thüringen ist eben keine Großstadt, und somit hatten die Kollegen mit Problemen zu kämpfen, die anderen Landesverbänden beim Organisieren einer Tagung nicht begegnen.

Für mich überwogen die positiven Aspekte, und ich möchte mich bei Kerstin, Oliver, Ronny und Hansjörg bedanken, dass sie mir mit der Organisation dieser Tagung gezeigt haben, wie sehr sie sich mit dem FDA identifizieren und wie wichtig es ihnen ist, die Bekanntheit unseres Verbands zu vergrößern.

 

"Wir sind die Neuen!"

Debütlesung mit Musik in der Lettrétage

Unsere neue Anthologie "SCHREIBEN MACHT SCHULE"

ist erschienen! 36 Gedichte und Kurzgeschichten von FDA-Autor(inn)en, 231 Seiten,

8,90 Euro. Bestellungen unter autorenverband.berlin@gmail.com

Oliver Guntner vom FDA Thüringen hat einen ausführlichen Bericht über unseren Autorenkongress 2017 verfasst und mit Fotos zu einer lebendigen Erinnerung ergänzt. Herzlichen Dank dafür! 

FDA - der Film!

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